Der Rangstreit im Goslarer Dom. ,,Großer Pfaffen-Lermen auf dem Pfingsttag". Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä. (1630).
Die Entführung war indes nicht die einzige bedrückende Begebenheit in seinem jungen Leben. Schon kurze Zeit später setzt das Schicksal noch einen drauf. Zum Pfingstfest des Jahres 1063 führt Erzbischof Anno seinen ,,Schützling" nach Goslar, um ihn dort den Großen des Reiches vorzustellen. Der Vespergottesdienst am Sonnabend davor sollte im Goslarer Dom stattfinden. In der Luft lag eine ungewöhnliche Spannung. Schon zu Weihnachten des Vorjahres war es zwischen dem Abt Widerad der Reichsabtei Fulda und dem Bischof Hezilo von Hildesheim zu einem heftigen Streit gekommen, wer denn näher beim Bischof von Mainz zu sitzen habe. Damals hatte den Streit Otto von Northeim durch ,,energisches Dazwischengehen" noch schlichten können. Die Sorge, dass der Streit in diesem nachfolgenden Jahr erneut ausbrechen könnte, lag in der Luft. Würde man es wagen, obwohl diesmal der junge König dabei war. Um es kurz zu machen auf die Anwesenheit des kleinen Königs wurde ,,gepfiffen". Der Streit wurde im Gegenteil mit aller Härte geführt und geriet sogar zum Blutbad und damit zum extrem traumatischen Ereignis für den sich noch in der neuen Umgebung und im neuen Amt herumtastenden 13jährigen.
Auch hier soll über die Ereignisse der sprachgewaltige Lampert von Hersfeld, selbst berichten: ,,Inmitten des Chors und der psalmodierenden Mönche kommt es zum Handgemenge, man kämpft jetzt nicht mehr nur mit Knütteln, sondern mit den blanken Schwertern. Eine hitzige Schlacht entbrennt, und durch die ganze Kirche hallt statt der Hymnen und geistigen Gesänge Anfeuerungsgeschrei und das Wehklagen Sterbender. Auf Gottes Altären werden grausige Opfer abgeschlachtet. Durch die Kirche rinnen allenthalben Ströme von Blut, vergossen nicht wie ehedem durch vorgeschriebenen Religionsgebrauch, sondern durch feindliche Grausamkeit. Der Bischof von Hildesheim hatte einen erhöhten Standort gewonnen und feuerte seine Leute wie durch ein militärisches Trompetensignal zu tapferem Kampfe an, und damit sie sich nicht durch die Heiligkeit des Ortes vom Waffengebrauch abschrecken ließen, hielt er ihnen das Aushängeschild seiner Machtbefugnis und Erlaubnis vor. Auf beiden Seiten wurde viele verwundet, viele getötet, unter ihnen vornehmlich Reginbodo, der Fuldaer Bannerträger, und Bero, ein dem Grafen Ekkbert besonders treuer Gefolgsmann. Der König hob zwar währenddessen laut seine Stimme und beschwor die Leute unter Berufung auf die königliche Majestät, aber er schien tauben Ohren zu predigen. Auf die Mahnung seines Gefolges, an die Sicherung seines Lebens zu denken und den Kampfplatz zu verlassen, bahnte er sich schließlich mit Mühe einen Weg durch die dicht zusammengeballte Menge und zog sich in die Pfalz zurück…'"
Zum unvermeidlich traumatischen Erleben kommt für den jungen König hinzu, dass er ohnmächtig die Begrenztheit seiner Macht erkennen muss. Das Gefühl, vor allem auch wegen seiner Jugend nicht ernst genommen zu werden, hat ihn dann auch unglaublich in seiner Ehre verletzt. Dazu gehört noch ein weiteres Erlebnis, das als die ,,Lütticher Episode" in die Geschichte eingegangen ist. Eigentlich ist sie eine Sache die den heutigen Betrachter eher zum Lachen reizt. Im mittelalterlichen Denken hat sie aber einen ganz anderen Stellenwert. Auch hier muss Heinrich wieder schmerzhaft erkennen, wie lang der Weg noch bis zur Anerkennung seiner Persönlichkeit ist. Die Ereignisse haben noch einmal zu tiefem Groll und Verstimmung bei ihm geführt. König Heinrich und Erzbischof Anno haben sich gerade zum Mittagsmahl niedergelassen, als am Eingang des Speisesaals ein ungewöhnlicher Tumult entsteht. Mit Gewalt verschaffen sich die Mönche von Strabo Einlass. Sie protestieren heftig dagegen, dass ihr Kloster Malmedy von Anno konfisziert worden ist, und wollen es zurück haben. Dieser Protest erfolgt allerdings auf höchst ungewöhnliche Weise. Durch ,,göttliche Offenbarung ermächtigt" haben sie die Gebeine des Heiligen Remaclus mitgebracht und packen sie nun unvermittelt auf die zum Essen hergerichtete Tafel. Es bleibt dem Leser überlassen, sich die Wirkung der bleichen Knochen zwischen den appetitlichen Speisen vorzustellen. Ob der Protest wirksam war, ist nicht übermittelt, fest steht aber, dass Heinrich wieder einmal erkennen musste, dass von Achtung majestätischer Würde noch nicht viel zu spüren war.
Langsam wuchs der König heran und damit schwand auch der Einfluss des Kölner Bischofs Anno. Um den Kritikern entgegnen zu können, bildete dieser einen Regierungsrat, der nunmehr die Regierungsgeschäfte führen sollte. Damit begann das Ende Annos. Der Erzbischof Adalbert von Bremen lief ihm in diesem Rat in kürzester Zeit den Rang ab. Zu diesem so ganz anders als Anno agierender Bischof entwickelte der junge König bald eine enge Beziehung. Anno ließ er andererseits bald seinen ganzen Hass spüren. Das ist sicherlich vor dem Hintergrund der Entführung und Indoktrinierung fremder Interessen verständlich.
Besonders deutlich wurde das nach der 1065 in Worms vollzogenen Schwertleite. Danach galt der nunmehr 15jährige als volljährig und damit berechtigt, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Lassen wir wieder Lampert von Hersfeld zu Wort kommen: ,,Bei der Schwertleite gürtete sich der König zum ersten Mal mit Kriegswaffen, und hätte sogleich die erste Probe mit der eben angelegten Rüstung gegen den Erzbischof von Köln abgelegt und wäre Hals über Kopf ausgezogen, um ihn mit Feuer und Schwert zu bekämpften, hätte nicht die Kaiserin noch zur rechten Zeit durch ihren Rat den drohenden Sturm beschwichtiget."
Um das Bild dieses widersprüchlichen Menschen in seinen jungen Jahren abzurunden, sei noch kurz auf die Ehe mit der jungen Bertha von Savoyen eingegangen, die er 1066 ehelichte. In Brunos ,,Sachsenkrieg" ist zu lesen: ,,Seine edle und schöne Gemahlin, die er auf Rat der Fürsten wider Willen zur Ehe genommen hatte, war ihm derart verhasst, dass er sie nach der Hochzeit aus freien Stücken niemals mehr sah…." Daher trachtete er auf mancherlei Art danach, sich von ihr zu trennen.“ Im Jahre 1069 begehrte Heinrich sogar die Scheidung. Dazu kam es aber nicht, weil ein Legat des Papstes, das verhinderte. Das Verhältnis besserte sich dann aber wohl ab 1070. Bis 1074 gebar Bertha dem König vier Kinder und sicherte damit die Dynastie.
Natürlich können nur Vermutungen angestellt werden, wie sehr diese bekannten Jugenderlebnisse das weitere Leben Heinrich bestimmt haben. Ganz ohne Einfluss werden sie aber wohl nicht geblieben sein.
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