Die Jugend Heinrichs IV. war von vielen schlimmen Ereignissen geprägt
Mit Kaiser Heinrich IV. hat die deutsche Geschichte eine ihrer auffälligsten und interessantesten Gestalten. Es fehlte lediglich ein deutscher ,,Shakespeare", der die historischen und menschlichen Wesenszüge dieses Kaisers auch noch ins rechte literarische Licht gerückt hätte. Das Menschenbild Heinrichs ist gleichermaßen facettenreich, zwiespältig, ausdeutungsfähig und rätselhaft. Das Wort Schillers über Wallenstein: ,,Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte" trifft im hohen Maße auch auf den Salier Heinrich IV. zu. Durch seinen Geburtsort Goslar und den Bau seiner Burg auf dem Harzburger Burgberg erscheint er uns seltsam vertraut und nah. Wenn sich sein Lebensweg im fortgeschrittenen Alter auch mehr im Westen des Reiches abgespielt hat, so ist der kindliche Teil seiner Jugend doch sehr, wenn auch nicht ausschließlich, von unserer Region geprägt.
Gerade diese Kindheit wirft einen erkenntnisreichen Schatten auf die Entwicklung zum Jüngling und dann zum Reichslenker. Das schillernde Charakterbild spiegelt eine problematische Natur, ein widersprüchliches Wesen, ein merkwürdiges phosphoreszierendes, fraglos auch zum Bösen tendierendes Temperament, und eine ungehemmte Neigung zu Trotz und Zorn. Sind die Ursachen für diese Entwicklung in den ungewöhnlichen, ja sogar erschreckenden Ereignissen und Erlebnissen der Kinderjahre zu finden? Um diese Frage zu bejahen bedarf es nicht unbedingt tiefenspsychologischer Kenntnisse. Solche Reaktionen sind eindeutig die Spätfolgen einer vergewaltigten, von Zwängen geprägten Kindheit. Die bösen Erfahrungen seiner Jugend haben ein Leben lang in ihm nachgewirkt. Darüber waren sich auch schon die frühen Historiker und Chronisten einig. Bereits die Zeitgenossen schwanken zwischen euphorischer Wertschätzung und gehässiger Ablehnung Heinrichs hin und her.
Lampert von Hersfeld, der bekannteste und dem Papst nahestehende Chronist Heinrichs, sowie der aus dem gleichen Gedankengut kommende Mönch Bruno haben ihn erbarmungslos verdammt. Für sie war er die Ausgeburt der Hölle schlechthin. Lampert, ein glänzender Schreiber zwar, aber auch bekannt als jemand, der mit der Wahrheit spielte, wenn sie nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmte, nennt Heinrich einen ,,an alle Laster der Welt verlorenen Tyrannen, einen launischen Bösewicht voller Willkür und Grausamkeit".
Mönch Bruno vergleicht ihn poetischer mit einem ,,zügellosen Pferd auf der abschüssigen Bahn des Frevels". Über viele Seiten hinweg delektiert er sich an den vielen Liebschaften des jungen Königs. ,,Er fühlt sich im Dornengestrüpp der Lüste am wohlsten", behauptet er und führt weiter aus, dass er ständig zwei oder drei Kebsweiber gehabt und trotzdem noch jeder anderen hübschen Larve nachgestellt habe. Mit Behagen erzählt der Mönch auch davon, dass der junge Tunichtgut einmal von seiner eigenen Frau eine äußerst verdiente Abreibung bezogen habe. In der Tat hatte Heinrich seine ungeliebte Frau in hinterhältiger Absicht auf die Treueprobe stellen wollen und einen Kumpanen angestiftet, sich in unehrenhafter Weise um die Gunst der jungen Frau zu bewerben. Der üble Anschlag wurde glücklicherweise der Gemahlin verraten, und diese ging zum Schein auf die Werbung ein. Sie wappnete sich indes und ihr Gefolge mit Stöcken und Schemeln und verabreichte nicht nur dem vorgeschickten Verführer, sondern auch dem im Hintergrund lauernden Gemahl eine gehörige Tracht Prügel. Der Chronist: ,,Schließlich warf sie ihn, fast bis auf den Tod zerschlagen, aus dem Gemach, verschloss die Tür und ging zu Bett". Resignierend schließt Bruno seinen Bericht mit der Erkenntnis, dass der König trotz dieser scharfen Züchtigung nicht von seinem Sündenleben abgelassen habe.
Aber nicht nur die Gegner, sondern auch die Freunde und Parteigänger Heinrichs hatten einiges an ihrem König auszusetzen. Sie beklagten immer wieder seinen verletzenden Zynismus, sein wildes Temperament, sein Ungestüm und seine Zügellosigkeit und die Unfähigkeit die Grenzen seiner Macht zu begreifen. Hätte er die Reaktionen seiner Feinde besser eingeschätzt, wäre der Sachsenkrieg sicherlich zu verhindern gewesen, so die allgemeine Auffassung.
Andere Autoren zeichnen allerdings ein ganz anderes Bild des Königs. Bei ihnen werden seine respektablen Eigenschaften in den 62 Schlachten hervorgehoben, die er führen musste. Deutlich hervorgetreten seien sein persönlicher Mut, seine Verschlagenheit und sein Gespür für kommende Entwicklungen. Vor allem sei er zäh und beharrlich gewesen. Der unbekannte Verfasser seiner ,,Vita", der das Leben des Königs in eine ergreifenden Totenklage gefasst hat, weiß auch sonst viel Lobenswertes über ihn zu berichten. Er spricht von seiner hohen Geisteskraft und Einsicht, dem Talent, verschlungene Knoten schnell zu lösen, und der Gabe, ohne Umwege zum Kern der Dinge vorzudringen. Der wohl in Regensburg beheimatete Chronist: ,,Wie mit Luchsaugen sah er, ob andere im Herzen Hass oder Liebe trugen."
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