Dritter Tag Rheinsteig 2010.11.02
Wir setzen unser Auto um. Über Wambach, Bärstadt, Hausen nach Kiedrich, ca.15km. Am Ortseingang vor einem alten Sandsteingebäude ist ein Platz frei. Wir parken gleich hier und beginnen unsere Tour. Eine Wegmarkierung fällt uns gleich ins Auge. Während des morgendlichen Plauderns folgen wir dem Zeichen. Kurz ist nur der Weg, da sehen wir den Scharfenstein über uns. "Achim, wir sind verkehrt, wir sind auf dem Weg nach Schlangenbad, Vorgestern sind wir hier entlang gelaufen, wir müssen in die andere Richtung"! "Na ist ja nicht schlimm, die paar Meter". Wir machen kehrt, laufen durch den Ort. "Gasthäuser gibt es ja genug, eine Übernachtung werden wir am Abend bestimmt finden", bemerke ich. Unser Ziel ist heute Johannisberg. Ich hoffe mit dem Bus zurück zum Auto zu kommen. Wenn nicht? Wird schon klappen, bin zuversichtlich.
Achim nimmt das auch ganz gelassen, wenigstens am Morgen.
Links ein mit Bäumen und Gebüsch zugewachsener Bach, man sieht nichts vom Wasser. Ab und an ein eingezäunter Gemüsegarten, Rebhänge rechts. Es geht aufwärts, alles still, da ein Brechen im Gehölz. Ein Rotte Wildschweine bahnt sich ungestüm seinen Weg durch das Dickicht, ab und zu sehe ich einen dunklen Schweinerücken mit dem Kringelschwanz. Es knackt gewaltig, plötzlich alles still, nichts mehr zu hören. Wie ein Spuk sind sie wieder verschwunden. Wir bleiben noch einen Augenblick, die Schweine haben mehr Geduld. Sie rühren sich nicht. Zweimal rechts, dann zweimal links, der Weg verläuft zwischen Weinreben, da steht ein kleiner Transporter, ein Herr in unserem Alter steigt aus, macht sich fertig zum Reben schneiden. Das ist eine tolle Gelegenheit etwas über den Weinbau zu erfahren, so zusagen aus erster Hand, vom arbeitenden Winzer. "Guten Tag. Bitte, wir interessieren uns für ihre Arbeit mit den Reben, wenn sie so freundlich sind und noch ein wenig Zeit für unsere Fragen haben"? "Ja gern, ihr seid wohl auf dem Rheinsteig unterwegs, habt ja ein paar schöne Herbsttage erwischt, das Laub ist teilweise noch an den Bäumen und klar ist die Luft auch, da offenbart der Rheingau seine ganze Schönheit. Kommt näher, ich zeige euch gern meine Arbeit". Er tritt an den ersten Weinstock einer langen Rebenreihe die sich senkrecht am Hang hochzieht. Wir treten zu ihm. Er trägt strapazierfähige Kleidung die Arbeitsspuren nicht verleugnet, einen kleinen Rucksack auf dem Rücken von dem ein Kabel zu seiner Rebschere führt, er trägt Handschuhe an den Händen, die Schere liegt in seiner rechten Hand, am Handschuh fehlt der Zeigefinger, mit dem nackten Finger lässt sich der Abzug der Schere wohl gefühlvoller bedienen, doch vielleicht ist der ja auch schon vielem Impulsdrücken abgearbeitet, habe vergessen zu fragen. Mit einem kurzen Blick mustert er den Stock, schneller als wir seinen Bewegungen mit unseren Augen folgen können sind fünf, sechs, sieben Schnitte erfolgt, kurzes Reißen mit der linken Hand, das Abgeschnittene liegt zwischen den Reihen auf dem Boden. Der Rebstock hat noch einen nach oben strebenden Trieb. Er schaut uns an, hält die stehen gebliebene Zwitsche, den Rebentrieb mit der linken Hand fest, die Rechte, Scheren bewaffnete dient als Zeigestock. „Dies ist der Fruchttrieb dieses Jahres, ihr seht noch die Traubenreste daran, der baut die Rebe nächstes Jahr auf, im Frühjahr wird er waagerecht gelegt und aus den Augen hier am Blattstiel-Ansatz treibt er aus und bildet die neue fruchtende Rebe. Ich verjünge mit diesem Schnitt den Weinstock immer wieder, der Trauben-Ertrag und die Qualität des Weines wird so gefördert, schon beim Schnitt wird die Grundlage für einen guten Wein gelegt. Alle übrigen Triebe, die Wasserschöße, die nicht fruchten, müssen auch mit entfernt werden. So ein geschnittener Stock sieht sehr mager aus, doch das wächst die Rebe alles wieder aus“. Unser Winzer ist nicht nur schell mit der Schere, auch seine Worte sprudeln einfach so hervor, Wir haben einen angesprochen der seine Arbeit versteht und liebt. Unser Gespräch mit Frage und Antwort ist nicht so schnell beendet. Wir erfahren dass so ein Weinstock so um die ein Liter Wein bringt, je nach Jahr und Qualitätsauslese, um diese hoch zu halten werden auch schon einmal Trauben vom Stock entfernt. Weinbau erfordert intensive, andauernde Arbeit am Stock und im Keller. Seine Familie betreibt den Weinbau schon seit über zweihundert Jahren, die eigenen Rebflächen, die vorher mindestens zwei Familien ernährten, werden heute im Nebenerwerb bewirtschaftet, sein Sohn, auch Kellermeister ist bei der Genossenschaft, leitet dort den Ausbau des Weines. Er selbst hat seinen Betrieb schon vor ein paar Jahren dem Sohn übergeben, der ist nun gesamt verantwortlich, macht den Keller und den Absatz, er selber ist für den Außenbereich zuständig, das ist sein Leben, das macht ihm Freude! Der Abschied zögert sich lange hin, immer wieder unterbrochen von neu angesprochenen Themen, über Reisen- Kletter- Wandertouren, immer ein paar Schritte weiter, bestimmt achtzig Meter legten wir so gemeinsam zurück. Zum Abschied gab er uns auf den Weg: "Bleibt gesund, wer lange läuft lebt lange"! So soll es sein! "Danke, selbst auch gesund bleiben, weiter Spaß an der Arbeit, Erfolg und guten Wein"! Ein letztes Winken als Abschiedsgruß und wir sind in der angrenzenden Haselhecke verschwunden.
Bald taucht unter uns Kloster Eberbach auf, links laufen wir daran vorbei, steil geht es den Berg hinab, überqueren den Eberbach, gelangen auf den alten nördlichen Friedhof mit alten zu gewucherten, mit Moos und Flechten bewachsenen Grabsteinen. Maurer sind dabei die Kloster umfassende Mauer neu auf zu bauen. Sand, Steine und Bretter liegen umher, dazwischen Paletten mit Spezialzement. Der Weg mit matschigen Fahrrillen zerstört. Wir umgehen den Dreck. Durch einen Seiteneingang betreten wir das Kloster, am Gasthaus vorbei zum Innenhof. Der Kapitelsaal ist offen, eine Veranstaltung wird vorbereitet. Ein Blick hinein, Eventmitarbeiter wuseln umher, der kleine barocke Garten, die Klostergebäude und die gesamte Anlage sind mir lieber. Im ehemaligen Zisterzienser Kloster, heute das mittelalterliche Kulturdenkmal Hessens wird der Weinbau präsentiert; die Verwaltung der Staatsweingüter des Rheingaues ist hier. Im Sommer finden hier häufig Weinproben und angelehnte Veranstaltungen statt.
Der Weg führt uns durch Buchenwald auf die Höhe des Steinberges, dieser Weinberg ist mit einer langen Mauer aus Feldsteinen umgeben, angeblich sollten Traubendiebe durch sie ferngehalten werden. Da wurde mit Wein noch ordentlich Geld verdient, so eine Riesenmauer zum Schutz der Trauben! Die Aussicht von hier zum Rhein hält uns eine Weile gefangen. Hattenheim und Hallgarten eingerahmt von Wein, dahinter schimmert der Rhein. Der Unkenbaum ist auch tot, ein kleines Bäumchen soll seine Nachfolge antreten. Achim möchte eine Pause, ich vertröste ihn auf die nächste sonnen beschiedene Bank. Viele Kurven macht unser Weg, durch Wiesen, bebauten Abschnitten, Äckern, leicht auf und ab. Mein Ziel für eine Rast ist der Aussichtspunkt unterhalb des Susberges, der verspricht eine beste Sicht zum Rhein.
Seit geraumer Zeit haben wir eine Vierer Wandergruppe hinter uns, an der Lautstärke ihrer Unterhaltung und das häufig lauten Schallen eines weiblichen Lachens zeigt ihre Annäherung an. Ich werde schneller, will vor ihnen noch den Aussichtspunkt erreichen, um uns den Sitzplatz zu sichern. Achim wird überholt, ich bin noch rechtzeitig am kleinen Pavillon.
Die drei Herren mit Dame ziehen grüßend vorbei. Achim kommt: „Die waren nervig, gut das die vorbei sind. So toll ist der Platz ja nicht, keine Aussicht, wir finden bestimmt was Besseres“! Am Jagdhaus Philipsburg, zehn Minuten später, sitzen die drei Herren samt Dame auf einer Bank mit der Aussicht die wir suchen. Pech gehabt! Beim Waldparkplatz Philippsburg, die nächste Bank, im Schatten zwar, mit eingeschränkter Sicht, doch kein Wind, ganz angenehm. Jetzt ist Pause angesagt, Achim bringt die zweite Rotwurst aus dem Rucksack ans Licht, er ist immer für eine Überraschung gut. Sie mundet uns gut, wieder zwei dicke Scheiben für jeden von uns. Wir sind fast fertig mit unserer Speisung da zieht die Herren mit Dame Wandergruppe wieder an uns vorbei. Ein paar freundliche Worte, winkende Grüße und schon bald sind sie, am Waldrand abwärts steigend, verschwunden. Wir packen auch ein, wollen weiter, da meldet sich Achim: "Du kannst auch mal die Verpflegungsdose tragen, ich schleppe immer alles"! "Achim du bist viel größer als ich, bist stärker und älter, außerdem bist du Ingenieur und dem ist bekanntlich nichts zu schwer! Außerdem trage ich ja schon schwer genug an der Verantwortung für uns"! Er legt seinen Kopf in den Nacken, sieht mich eigenartig an, bevor er etwas sagen kann bin ich schon beim Weiterwandern.
Ein wenig kalt war mir schon bei der Rast geworden, nur im Sonnenschein ist die Temperatur noch angenehm. Unterhalb der Waldkante, der Weinbau endete aus der Ebene heraufkommend hier, ein wunderschöner Sitzplatz mit Aussicht und Sonne. Wenn wir ein wenig weitergegangen wären! In den Senken der Weinberge leuchteten die roten Blätter der Kirschbäume. Ein Traumblick!
Bald taucht die Kühns Mühle, etwas versteckt im Pfingstbachtal gelegen, auf. Wir kürzen den Weg, durch den Weinberg gehend, ein wenig ab, sehen von der alten Mühle, auch Einkehr ist möglich, so gut wie nichts. Der Turm von Schloss Vollrads, der kurz auftauchte, hat uns neugierig gemacht. Wieder ansteigend baut sich das Schloss, sich langsam aus den Weinbergen schälend, vor uns auf. Ein toller Anblick. Das berühmte Weinschloss am Rhein, mit Bad Harzburg ein wenig verbunden durch die von Greifenclau, dem früheren Eigentümer des Schlosses. Ein Sohn und Teilerbe der Familie war mehrere Jahre Chef unser Stadtwerke. Später, er hatte Harzburg schon wieder verlassen, schied er wohl aus Gram und Depressionen, freiwillig aus dem Leben.
Wir durchschreiten das Schlosstor, sehen uns so weit möglich alles an. Vor der Wirtschaft genießt im stehen die Vierer Wandergruppe einen der hier angebauten Rieslinge. Wir verzichten darauf. Noch zu früh am Tag, der Mond steht noch nicht am Himmel. Die Kamera klickt häufig.
Schöne Gärten mit geschnitten Buchs und Taxus. Häufig wenden wir uns beim Weitergehen um, ein Schwarm schwarzer Raben fliegt lärmend über die Dächer und Giebel.
Burg Schwarzenstein am Rand von Schlossheide gelegen taucht über uns auf, Johannisberg geradeaus vor uns. Achim möchte das Tal queren um von dort einen Bus zu erreichen. Ich überrede ihn jedoch noch zum Schwarzenstein auf zu steigen. Der Rheinsteig bleibt auf dieser Seite des Ansbaches, so gelangen wir nur über einen Umweg zur Burg. Ein riesiger Schwarm Stare hat sich auf der Stromleitung und in den Uferbüschen niedergelassen Beim Näherkommen fliegen sie gemeinsam auf, zeichnen als wogende, sich immer verändernd, scharf begrenzter Wolke, über den Weinreben ein Schattenspiel ihrer Lebenslust. Bald haben sie sich, für uns nicht mehr sichtbar, wieder niedergelassen.
Die Burg ist mit einem Zaun umgeben, als Hotel ausgebaut. Wir lassen sie links liegen, laufen nach Schlossheide, einer neueren Siedlung. Kurz vor erreichen der Hauptstraße fährt ein Bus vorbei. An der Haltestelle stellen wir fest, der Bus von hier fährt nur nach Geisenheim, und das erst wieder in zwei Stunden. Beratung. "Wir laufen nach Winkel. Die 3 km schmeißen uns doch nicht um, da gibt es Bahn und Bus, von dort kommen wir bestimmt nach Kiedrich"! "Du mit deiner Rennerei, Johannisberg war unser heutiges Ziel, du musst hier auch noch hoch laufen und nun alles wieder zurück, scheiß Burg"! Achim meckert ein wenig, doch dazu lasse ich ihm nicht viel Zeit. Wir gehen nur ein kurzes Stück auf gleichem Weg zurück, laufen am Ansbach endlang nach Winkel.
Hier haben wir noch vierzig Minuten, dann kommt der Bus nach Eltville und von dort, das wissen wir von Gestern fährt einer nach Kiedrich. Mit uns warten noch ein paar Andere. Der Bus lässt sich Zeit, kommt mit Verspätung. Wir lösen einfache Fahrt nach Kiedrich. "Haben in Eltville Anschluss"? "Ja". Der Bus saust über die Dörfer, an der Einmündung auf die 42 Stau, es dauert lange bis wir abbiegen können. Der Fahrer ist am telefonieren, veranlasst, das der Bus nach Kiedrich auf uns wartet.
In Kiedrich im "Felsenkeller" bekommen wir vom Wirt erst eine quasi Zusage für ein Doppelzimmer für eine Nacht, von der Wirtin jedoch eine klare Absage. Selbst der Wirt macht große Augen, ist augenscheinlich auch verwundert. Na dann nicht, wenn kein Zimmer auch keine Einkehr, trotzt der viel versprechenden Speisekarte im Aushang! Im Nachbarhaus beim Jugoslawen werden wir freundlich aufgenommen. So gibt es zum Abend in dem "Gotischen Weindorf Kiedrich" jugoslawische Küche, dazu einen Kiedricher Riesling.
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