Ostermontag ist, kräftig geschneit hat es in der Nacht. Der Himmel blau und klar die Luft. Sonnensehnsucht treibt uns zur Eckertalsperre, liegt sie doch den ganzen Tag im Licht.
An der Schwefelquelle, oberhalb des Radauwasserfalls, lassen wir das Auto stehen. Ein Herr mit WF Kennzeichen lässt Plastikflasche um Plastikflasche mit dem stinkenden Wasser voll laufen. Das dauert, ist der Quellwasserstrahl doch etwas dünn und wenn man mit drei Wasserkästen davor steht, läuft einem die Zeit davon. Er nimmt das gelassen, stellt eine Leere unter den dauernden Strahl, wartet bis alle Luft vom Wasser verdrängt ist, verschließt die Flasche mit dem Schraubverschluss, stellt sie in die Kiste und die Nächste wird gefüllt.
"Das beste Kaffeewasser weit und breit, ich versichte ungern darauf", werden wir aufgeklärt.
Hat halt jeder seinen Stich, saust der Gedanke durch meinen Kopf. Ostern bei bestem Sonnenschein, im Schatten kaltes Quellwasser schöpfen, kalte Finger dabei bekommen, bei jeder Flasche Kniebeugen vorm Wasserstrahl machen, warten bis zum Überlaufen usw. usw.. Nee, wir nehmen unser Kaffeewasser aus dem Hahn!
Warm werden wir beim Anstieg durch das noch schattige Lohnbachtal. Im Sonnschein die Luisenbank mit herrlicher Aussicht auf Talsperre und Scharfenstein. Die Schneehöhe ist hier oben angewachsen. Die Schneepflugränder neben der Straße zum Wasserwerk, der wir folgen müssen, sind hoch auf getürmt. Die Straße frei geschoben, weiß, neu begrießelt. Die Stiefelsohlen der vor uns gegangenen sind scharfkantig abgebildet. Zeigen alle Richtung Brocken. Zur Treppe, die zur Staumauerkrone runter, als Pfad darüber hinweg, zum Scharfenstein mit seiner Ranchereinkehr und weiter zum Brocken führt, schwenken alle Trittspuren ab. Unser Weiterweg auf westlicher Seite liegt unberührt vor uns. Tief sinken wir ein im pulvrigen Schnee. Spaß macht es durch diese unbefleckte Weiße zu laufen. Dem Schnee gefällt unser Fährtenzug nicht. Er krabbelt in die Hosenbeine, setzt sich zwischen Strumpf und Schuh, taut leicht an, macht feuchte Beine und Füße. Rechts, am steilen Sonnenhang, genau gegenüber des vergessenen schwarz-rot-gold angestrichenen DDR Grenzpfosten, plötzlich viele Tierspuren, fasst runde, große Tapsen. Sie kommen von oben aus dem Fichtenwald, führen bis an das verschneite Eis der Sperre. Nur kurz ein Ausflug auf die gerade Fläche zeigen die Tapsen an. Am Hang ist das anders, hier sieht es so aus als hätte ein großes Gerangel, ein Spiel von mehren Tieren stattgefunden. Wir rätseln: Hunde, kaum - -, Wölfe, gibt’s noch nicht wieder hier? Bestimmt waren es Luchse die hier getobt haben, vielleicht beim Liebesspiel oder sonstigem Schönen was die Tiere so treiben. Wir wissen es nicht.
Selbst unter den Fichten, die uns jetzt die Sonne nehmen nimmt der hohe Schnee nicht ab. Das Laufen im Tiefschnee wird immer anstrengender und ermüdender.
Die Eckerquerung ist total zugeschneit, eine geschlossene gerade weiße Decke zieht sich über den Fluss, über die Trittsteine. Wo soll ich hintreten, wo rutsche ich nicht ein Loch zwischen den Wackersteinen? Ein abgebrochener Fichtenast dient als Stocher, suche mit ihm einen festen Tritt. Langsam und vorsichtig beginne ich die Übung. Es klappt, rutsche nicht von den abgerundeten Ecken der Granitbrocken unter mir, stehe auf dem anderen Ufer in Sachsen-Anhalt. Nun noch Rita. Der Fichtenast dient als Haltestock. Fest, mit beiden Händen, greift sie ihn. "Tritt in meine Spur, da ist es sicher!" "Ja".
Sie macht ihre Sache gut, ist fasst bei mir. Da passiert dann doch noch. Rutsch, ist sie bis zur Hüfte verschwunden. Selbst den Ast hat sie losgelassen. Fest packe ich ihren Ärmel und genau so schnell wie sie verschwand ist sie wieder da. Nicht einmal ins Eckerwasser ist sie getreten! Der Schreck flaut bald ab. Weh tut nix. Noch einmal gut gegangen!
Das Laufen im tiefen, unberührten Schnee geht so sachte auch mir an die Kräfte. Der breite in der Sonne liegende Weg zieht sich. Rita macht öfters Pause, bleibt zurück; schimpft leise hinter meinem Rücken. Beim Gitterkopf, seine Felsklippen haben wir vom Pionierweg gesehen, kommt uns junges Pärchen so richtig schwungvoll entgegen. Ein Gruß, ein kurzer Plausch. Sie ziehen weiter, wollen nach Braunlage. Bewundernd wünschen wir ihnen einen guten Weg. "Wenn’s zu schwer wird, es fahren Busse vom Torfhaus oder von Oderbrück"! "Danke, brauchen wir nicht", sagt er. Sie schaut da ein bisschen skeptischer unter ihrer Mütze hervor. Wir sind wieder allein. Es bietet sich an die Spur der Beiden zu nutzen. Tun wir auch, doch so ganz toll ist die Lauferei, das in die Spur treten auch nicht. Mal rutscht man nach links, dann zur anderen Seite. Auch ist die Trittweite anders als die unsrige.
Trete häufig eine Neue in den Schnee. Froh bin ich als die Spur nach rechts abschwenkt. Den Weg den die Beiden gelaufen sind kenne ich nicht. Wo die wohl herkommen?
Wir gehen weiter gerade aus. Von rechts kommt die Große Pesecke angeflossen. Weiter oben hat sie ihr angestammtes Bett verlassen und unseren Weg unter Wasser gesetzt. Dunkle Kolke im hohen weißen Schnee. Ein desolates, teilweise zusammengebrochenes Naturholzgeländer am Wegesrand weißt auf eine Überquerungshilfe dieses wasserreichen Abschnitts hin. Warte auf meine Beste die wieder weit zurück geblieben ist. Langsam kommt sie, still weinend den Kopf gesenkt, konzentriert in meine Spur tretend, auf wackeligen Beinen an. "Was ist los?"
" Ich kann nicht mehr!" schluchzt sie im Tränenfluss. Der Schreck durchfährt mich. Umarme sie, versuche zu trösten, küsse ihre Tränen weg. Was haben wir gemeinsam schon alles unternommen, erlebt. Weite Strecken mit Blasen an den Füßen ist sie mit mir gewandert, über 10 Stunden im Faltboot bei Gegenwind und hohen Wellen über die Boddengewässer gepaddelt. Was habe ich ihr schon alles zugemutet! Gescholten hat sie häufig mit mir! Aber geweint vor Erschöpfung, so weit ist es noch nie gekommen!
Der Trost, oder mehr die Pause die dazu eingelegt wird bringt sie wieder ein wenig ins Gleichgewicht. "Jetzt weiß ich warum Leute sich einfach hinschmeißen und nicht mehr aufstehen, die Ruhe im Schnee dem Weiterlaufen vorziehen" flüstert sie. "Ich war nahe daran es auch zu tun und du läufst immer weiter!"
Ihr Vorwurf trifft mich, doch er weißt auch auf ihre Erholung hin. Noch eine Umarmung, ein Streicheln mit beruhigen, bedauernden Worten und weiter geht es. Einander festhaltend hangeln wir uns auf den verscheiten Steg über diesen wasserreichen Wegabschnitt.
Bald treffen wir auf dem Abzweig zum Scharfenstein, nun ist der Weg getreten, ausgelatscht von den Brockenwanderern. Auf holprige Trittspur streben wir zur Staumauer. Es ist mehr ein Rutschen von einem Buckel zum nächsten als ein Gehen. Von einem Stampfen durch tiefen Schnee ist nun ein Balancieren geworden. Ein paar Brockenrückkehrer überholen uns. Die Treppenstufen von der Staumauer hoch zur Straße sind zur Rutschbahn getreten, noch einmal ist Tiefschnee treten angesagt um diese glatte Steigung zu meistern. Auf geräumter Straße erreichen wir bald unser Auto. Meine Beste ist wieder halbwegs frohen Mutes!
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