Eine Spur eines Harvesters, der hier hauste, führt uns zum Hauptweg. Mit seinen wilden Brombeerranken zeigt seine Spur uns noch einmal, dass wir hier eigentlich fehl am Platze sind. Macht nichts, wir sind da, wo wir hin wollen, beim oberen Kollyteich, am Weg auf der Höhe des Hardelsberg. Wenn man bedenkt wie es hier nach der Wiedervereinigung aussah. Wie hübsch alles hergerichtet war, bereit für den Ansturm fröhlicher Besucher, so zeigt er sich nun als vergehender Schatten seiner Vergangenheit. Die einmal spiegelnde Wasserfläche verschilft, vom Rand her mit Reitgras, Karden und Kratzdisteln, zugewachsen. Die Natur hat den oberen Kollyteich wieder eingenommen. Die erwartete Unruhe der Besucher ist ausgeblieben, also wurde er aus der weiteren Pflege genommen, wieder vergessen. Uns ist es ganz recht. Wunderbare Rast im Traumidyll auf der letzten seiner Bänke.
Wir haben hier das Ziel unserer Runde erreicht, folgen dem Wanderweg nach Westen zurück nach Badersleben. Bleiben auf der Höhe. Treffen wieder auf das zugewachsene Ödland mit den weiteren versteckten Kollyteichen, Stehen diesmal an der Südseite der kleinen Wildnis. Auf dem aufgegebenen Grünland steht der Weiße Senf im blühenden Gelb. Sonnenschein liegt über der gelben, sich bald ins Endlose ziehenden Fläche. Dahinter grenzt ein Gebüsch, die Windmühlen des westlichen Mühlbergs, die des Druibergs, den Horizont ein. Blauer Himmel mit weißen Wolken darüber. Eine richtiges kitschiges Idyll. Hat man nicht alle Tage. Zieht man dieses Bild mit dem Zoom der Kamera heran, geht das Idyll augenblicklich flöten. Bedrohlich wirkt jetzt die Szene. Schnell wird von Zoom auf Makro gewechselt, der Vordergrund hervorgehoben und schon sieht die Welt ganz anders, wünschenswerter, aus. So wie im wahren Leben: Die Nähe ist scharf abgebildet, der Hintergrund schemenhaft. Man sieht was kommt und sieht es doch nicht so ganz richtig, nur verschwommen.
Hier, mit dem Blick ins Land, steht eine neue Rasthütte mit Dach, Tisch und Bänken. Wir brauchen sie nicht. Bewundern die alten Grenzsteine mit den eingeschlagenen Wolfsangeln, einem Landzeichen vom Königreich Hannover.
Nehmen die Heiketalswarte ins Visier. Eine Parabolantenne hinter ihren Scheiben bringt Gesprächsstoff. Wofür, warum? Niemand antwortet uns. Die alte Industrieanlage ist zu einem weiteren Feuchtbiotop verwandelt. Ein Ringelblumen-Blühstreifen am Wege. Vor uns ein großer Schwarm von durchziehenden Wacholderdrosseln in den Heckenrosen. Fliegen weit vor uns auf verschwinden wieder in den Zweigen. Ein Teil von Ihnen wechselt zu einer verbliebenen Pfütze in der Spur eines Treckers. Wie Gäste die sich an einer Bar drängeln stehen sie da nebeneinander. Picken mit ihren schwarz-gelben Schnäbeln in die Wasserbrühe, legen ihren Kopf nach hinten in den Nacken, trinken genussvoll, lassen sich's gut sein. Zwei geflügelte Barkeeper hinter der Wassertheke beobachten argwöhnisch das Trinkgelage. Weitere Vögel, die auch an die Quelle wollen, in Reihe brav dahinterstehend, wartend. Dies alles ist nur mit dem Fernglas zu betrachten. Schon beim Weiterreichen an den Partner, stiebt, durch die Bewegung gestört, der durstige Trupp davon. Ein kurzes Warten lohnt. Dann trauen sich die ersten Vögel zurück. Die Bar in der Treckerspur ist wieder eröffnet.
Bald darauf biegen wir links am südlichen verbuschten Hang des Kuhbergs (272 m) ab. Sanfte Steigung zur Höhe. Hinter uns, nach Osten, sind die drei, vom Grünspan überzogenen spitzen Türme des Kloster Hysburg mit seinen langen, gestreckten Gebäuden zu sehen. Die Heiketalwarte nun im Süden von grünen Feldern umrahmt. Von der großen runden Antenne hinter ihren Scheiben, ist nichts mehr zu sehen. Auch die vielen Windmühlen sind hinter der Hügelkuppe verschwunden. Nur grüne Felder unter weißen im blauem Himmel schwebenden Wolken. Ein paar vergilbte Pappeln am Wege. Landschaft pur. Dies kehrt sich, als wir die Höhe des Kuhbergs erreicht haben, um. Hier beherrschen die modernen Windstromer, die weißen langen Stangen mit drei rot-weiß farbigen Flügel, die Landschaft. In einer wirren Anordnung stehen sie in der Landschaft. Ihre langen Flügelblätter werfen schnell folgende Schattenstreifen über die Felder. Hat man Pech, wird von ihnen getroffen, zieht Beklemmung durch Seele und Körper. Mich wundert, dass noch der Rote Milan hier seine Kreise zieht. Eines Tages wird es ihn treffen, werden die schnellen Rot-Weißen ihn beim Suchflug aus der Luft holen, ihn zu Erde schmettern. Wird er einkehren in das Walhall vorweg gegangener Kleintiere und Insekten. Doch kein Denkmal wird ihrer gedenken. Der Pflug wird das was von ihnen überbleibt begraben, die Getreidewurzeln ihre zerrissenen Leiber verzehren. Das ist der Preis des warmen Wassers aus der Leitung, der warmen Stube, der abendlichen Sitzung vor dem Fernseher, dem Computer und vieler Selbstverständlichkeiten die uns wichtig erscheinen und sind.
Vor ein paar Jahren als wir diese Huy-Landschaft kennen lernten kamen wir am "Spring" vorbei. Auf dem Druiberg standen die ersten der weißen Spargelmasten mit den drei Flügelblättern. Ein älterer Herr mähte vor seinem Haus, dort wo das "Spingwasser", der Marienbach, den Weg kreuzt, hinter einem Zaun verschwindet. Ich schwärmte ihm vor wie schön die Landschaft ist in der er sein zu Hause hat. Seine Antwort: "Junge, wir können ja tauschen. Du ziehst hier ein, ich bei dir. Ich tausche unbesehen! Wenn du wüsstest wie der Flügelschlag der Ungeheuer auf dem Druiberg bei Wind herunter dröhnt würdest du mich nicht beneiden. Früher als nur der Wind über den Druiberg strich, da war es schön hier. Aber jetzt, wie in einer Blechschmiede dröhnt es durch das Haus wenn sich die Flügel drehen. Immer wenn einer der Flügel am Masten vorbei streicht, gibt es einen Wumms, der nicht nur das Haus erzittern lässt! Kannst ja mal vorbeikommen wenn es bläst. Du bist noch schneller weg wie sich die Flügel drehen! Die Biester auf dem Berg stehen viel zu nah am Ort! Meine eingereichten Beschwerden bei den Ämtern werden beiseite geschoben, ignoriert. Alles hat seine rechtliche Ordnung wird mir gesagt. Das mag ja stimmen, doch ich muss den Lärm ertragen!"
So einen langen Redeschwall hatte ich nicht erwartet, dem alten Veteranen mit dem Rasenmäher auch nicht zugetraut. Etwas ungläubig betrachtete ich ihn. Sah wie sich seine Gesichtszüge während seiner Worte verhärtet hatten. Voller Zorn seine Gedanken! "Kannst'e dir ja noch einmal überlegen mit dem Wohnungstausch. Ich will dich nicht drängeln" platzt es noch aus ihm heraus. Der Rasenmäher poltert mit ihm durch die Haustür. Wir blieben allein zurück.
Das Wasser des "Marienspring" floss unbeeindruckt durch die Worte des alten Herrn, noch immer glasklar unter dem Zaun hindurch in den Garten. Es war windstill und leise und schön hier am Nordhang des Huy bei Badersleben. Nur in mir da brauste es. Das verging auf der Fahrt nach unserem zu Hause.
Heute ist es immer noch schön hier in Badersleben, in seinen Hügeln am Huy. Trotzt weiterer Masten auf dem Druiberg. Noch immer begeistert uns der "Marienspring" mit seinem leisen Plätschern. Noch immer verschwindet er hinter dem Zaun im Garten des alten Herren. Nur gemäht wird der Rasen, vor der Tür im alten langen, gestreckten Haus in dem der Zornige samt Rasenmäher verschwand, nicht mehr.