Die ganze Woche blies ein starker Wind von den Bergen. Die Nässe, die er mitbrachte war alles andere als angenehm. Die Vernünftigen blieben mit den Hintern im Warmen. Nur die ein kleinwenig Bescheuerten, zogen sich die Regenjacke an, machten sich auf den Weg nach draußen. Ich gehörte auch zu denen, musste und wollte ich doch meine letzte Winterwanderung vorbereiten. Einmal rund um den Burgberg, mit Einkehr im neuem "Aussichtsreich", der neu entstandenen Gastronomie auf dem Großen Burgberg. Erst einmal draußen, war es dann doch nicht so schlimm wie ich es hinter der Scheibe des Wohnzimmers vermutete. Warm mir schon als ich den Stübchentalsbach erreichte. Hier am Ausgang des Stübchentals sollte meine Sonntagswanderung beginnen und auch enden. Auf dem Harzburger-Rundweg um den Eichenberg herum, den großen Bogen des Krodotals ablaufend, zum Kriegerdenkmal am Fuß des Kleinen Burgbergs. Dort ein Stückchen den Herzogsweg hinauf, den ersten Abzweig nach rechts wieder hinunter. Bald öffnet sich der Buchenwald, bietet einen Blick auf den Kurpark, der Brandruine des Harzburger Hofes, der Michels-Klinik, den drei Türmen des Aparthotels, der alten Harzburger Villen, den Neubauten der Eigentumswohnungen der Ruheständler Harzburgs. Dahinter im Nordwesten zeigt sich, fast im Dunst verschluckt der Langenberg.
Im Kurpark vor dem Haus der Natur, flattern über dem regennassen, grauen Asphalt des Weges, dem kurzem Grün des Kurpark-Rasens drei orangefarbene Fahnen im Winde. Sollen wohl Besucher locken. Doch nur ein Mütze tragender roter Anorak schiebt seine Gehhilfe vor sich her, lässt den Eingang der kleinen Bildungsstätte "Haus der Natur" rechts liegen. Bewegt sich lieber in ihrer brausender, feuchter, kühler Urgewalt.
Traurigkeit erzeugen die verbrannten Balken des Dachstuhls unseres ehemaligen "Ersten Haus am Platz" dem Harzburger Hof. Hat die vom Rat beschlossene Veränderungssperre des Grundstücks, ( Hotelstandort) dies bewirkt? Schade um die alten Werte des einst prägendsten Hotels Bad Harzburgs.
Die Y-Fußgängerbrücke über die B4 wird nur kurz tangiert. Hinter dem Zaun, auf dem Gelände des immer noch tot darniederliegenden Siemens-Ettershaus, ein kleines gemauertes Natursteinhäuschen mit spitzem Turm. Ein kleines Vergnügungshäuschen der früheren Gäste der Siemens-Familie? Sehe es zum ersten Mal. Versteckte sich immer im Grün des verwilderten Gartens.
Ein Betonlaster hat seine Fracht in eines der entstehenden Fundamente des Baumwipfelpfads laufen lassen; fährt vorsichtig, rückwärts auf die vierspurige B4. Macht sich auf den Weg neuen Beton zu laden, um die riesigen Fundament-Löcher, auf denen bald Stahltürme stehen, die dem Eisenpfad durch die Wipfel den Halt geben werden. Der Märchenwald träumt vom Frühling. Sein Imbiss ist geöffnet, verbreitet Essendüfte. Metallgitterzäune weisen Fußgänger ab. Der Wanderweg ins Kalte Tal versperrt. Der Gedenkstein unseres "Ersten Badekommissar" Hermann Dommes betrachtet schweigend das vor ihm liegende, um und dumm gewühlte Chaos unseres erweiterten Kurparks. Nachdenklich umgehe ich die Absperrzäune, den umgebrochenen Boden. Steige auf zur Löns-Bank am Philosophenbach. Immer noch sucht das Auge nach der vergangenen alten Eiche die am Rand des Grabens, ein Stückchen weiter ins Radautal, stand. Die "Wodanseiche" ist nicht mehr. Der Philosophenbach ist kein Bach sondern ein Graben, der mit geringstem Gefälle sein klares Wasser einer Turbine zuführte, in ein Absetz- und Vorwarmbecken jenseits der Radau floss, unser verschwundenes Schwimmbad mit natürlich angewärmten Wasser speiste. Nachdem sich die Harzburger Schwimmer darin abgewaschen, sich vergnügt hatten, nahm die Radau die abfließende "Brühe" klaglos auf. Alles vorbei! Das Vorwarmbecken musste den Wohnmobilen weichen, das Schwimmbad der Eisbahn.
Weiter, gegen die Fließrichtung des Grabens, ins Kalte Tal. Hier erliegt man schnell einer Illusion, die den Augen vorgaukelt der Philosophenbach fließ gegen den Berg! Links tauchen die ersten gegossenen Betonfundamente auf. Baumaschinen rattern, quietschen, übertönen noch die Zurufe der Bauarbeiter. Vormontierte Stahltürme liegen umher. In gelbe Jacken gehüllte Bautrupps stehen bewegungslos daneben. Pause oder Beratungsgespräch? Etwas weiter im Tal sind schon drei der Türme aufgestellt. Feuerverzinkter Stahl glänzt, hat den Platz der starken Fichten und Buchen, des Berg-, des Spitz-Ahorn, kräftiger Eichen eingenommen. Auch ein paar Exoten des Tales, wie Lebensbäume, selbst einer der Tulpenbäume, sind abgeschnitten. Frische Sägespäne haben sich über das braune Laub des Waldbodens gelegt. Das vordere Kalte Tal trauert. Doch schon im Frühjahr, ab April soll die triste Trauer in Fröhlichkeit der Baumwipfelpfad-Besucher wechseln. Soll hier Begeisterung, Jubel der Besucher herrschen, sollen die investierten 4000000 Euro Zinsen tragen. Selbst unser Silberbornbad wird an diesen Erträgen gesunden. Sagt man in den Chefetage.Ein Wintermärchen das in einen Sommertraum übergeht? Voller Gedanken laufe ich weiter.
Übersehe beinahe den Winter-Trompetenschnitzling, den kleinen zarten Farn, der die gefallene mit moosüberwachsene Buche schmückt. Bucheckern liegen neben ihren leeren stacheligen Fruchtbechern, der wintergrüne Sauerklee hat seine Laubblätter nach unten geklappt, schützt sich so vor der Winterkälte, bei Dunkelheit. Ein Zaunkönig verschwindet im Reisighaufen, wuselt aufgeregt durch das trockene Gestrüpp.