Es ist der Diensthabende der Klostergemeinschaft. Der "Aufpasser"! Ein taxierender Blick dunkler Augen trifft mich, tastet mich, bald körperlich spürbar, ab. Kein Laut von mir, keine Kamera sichtbar, keine Gefahr für sein Heiligtum. Die dunkle Gestalt wendet ihren Kopf, tritt aus dem Licht, verschwindet im Spiel der Schatten. Lange stehe ich allein und reglos, gefangen, lebensversunken in dem heiligen Raum. Wieder öffnet sich die Tür. Plappernd drängen sich andere Besucher, Mitglieder unserer Reisetruppe in den Raum. Das, was mich gefangen nahm ist verschwunden. Dafür taucht der Schwarzgekleidete wieder auf. Bittet energisch um Ruhe. Erwischt einen Fotografen. Der soll seine Aufnahme löschen. Will das aber nicht, will sich abwenden. Das gefällt dem Aufpasser aber gar nicht. Unter sanfter Gewalt seiner mageren, doch starken Arme findet sich der Fotograf unmittelbar darauf vor der Kirchentür wieder. Ruhigen Schrittes nach dem rabiaten Rauswurf, schreitet der "Schwarze" wieder zu seiner Beobachtungsstrecke, seinem Platz zwischen dem Licht, dem Schatten.
Bei aller Schönheit, Würde und umgebenen Flair des heiligen Ortes, mich drängt es nach draußen; nach draußen ins Licht der georgischen Sonne. Betrachte die mit jungen Olivenbäumen bepflanzte Rasenfläche neben dem Kirchengebäude, den Uralten seiner Gattung, der als Mittelpunkt ausgewählt ist. Die anschließende zinnenbewehrte umfassende Mauer Alaverdis. Sophia taucht auf: "Das ist ein Stilbruch! Oliven waren nie hier zuhause, hat es hier nie gegeben. Entschuldigen und vergessen sie diesen nach Aufmerksamkeit heischenden modischen Trent". Ich sehe das nicht so verbissen. Mir gefallen die Reihen der jungen Oliven, die Alte der Mitte. Mir gefällt Alaverdi. Doch müssen die alten Regeln noch immer so konsequent verfolgt werden? Zweifel sind da gestattet. Ein bisschen wirr fällt der obligatorische Toilettengang auf der gegenüberliegende Straßenseite aus. Es fehlt an Kleingeld. Auch das wird auf georgische Weise gelöst. Auf wunderliche Weise erscheint eine Dame mit genügend Wechselgeld.
Weiter geht unsere Reise. Weinfelder rechts der Straße. Mit der Hand wird hier noch geerntet. Eine Vielzahl älterer und jüngerer Menschen sind dabei die diesjährige Ernte einzubringen. Vor uns verhindert ein mit weißen Trauben beladender Lkw unser Vorwärtskommen. Neu für mich so ein Wein-Schüttgut-Erntewagen. Gleich darauf, vor einem weiteren weintropfenden Lkw, taucht hoch auf einem Hügel neben der Straße, die Festung Gremi auf. Unserem nächsten Ziel. Die georgische Sonne meint es gut mit uns. Sie bringt uns beim Aufstieg zur Festung, zur Kirche ordentlich zum Pusten, ins Schwitzen. Breit, voller Geröll und ziemlich trocken, breitet sich der dem Alazani zuströmenden Nebenfluss unter uns aus. Die dahinter liegenden Berge des Großen Kaukasus mit weißen Wolkenbergen gekrönt. Schon im 15. Jahrhundert suchte König Giorgi II. hier Glück und Schutz vor seinen Widersachern. Nicht lange ging das gut. Seine Nachkommen, bewaffnet mit Pfeil, Bogen und Lanzen waren den Geschützen der angreifenden Perser hilflos ausgeliefert. Sie wurden vertrieben, mussten ihren Glauben wechseln. Wir hören nichts mehr von ihren Leiden, ihrem Wehklagen. Unbedarft laufen wir durch die Festungsräume, denken nicht an die vergangenen Leiden ihrer früheren Bewohner. Sind beeindruckt von Lage und Aussicht, suchen unser kleines Urlaubsglück auf den Stufen, in den Mauern ihrer Ruinen, im Raum der kleinen Kirche. Schlendern durch die umgebene Gartenanlage, erfreuen uns an schlanken, alten Zypressen, dem satten Grün der Laubbäume, den vereinzelten Blüten im halb vertrockneten Gras. Ein schöner Ort.
Das ist auch das Weingut des Herrn Schuchmann welches wir anschließend besuchen. Ein fahrerisches Kunststück ist es schon was da abzuliefern ist bis wir auf dem Weingut aussteigen können. Vollgeprompft mit Autos aller Größen ist die Straße. Auf Schuchmanns Weinhof warten vor der Waage, beladenen mit roten Trauben, ein halbes Dutzend Lkw auf ihre Abfertigung. Sie werden gewogen, registriert, verschwinden zum Abladeplatz. Wir, unser Bus mittenmang. Während wir gleich empfangen, von einem deutschen, angehenden Kellermeister durch den Betrieb geschleust werden, gerät das weitere Geschick von Bus und Fahrer, uns aus den Augen. Gekonnt und interessant berichtet der junge Knabe über den Lebensweg des Herrn Schuchmann, und reichlich selbstbewusst über seine eigenen Zukunftspläne als Mensch und späterer Winzermeister. Schon toll wie er sich sein Werden, seine Zukunft so vorstellt. Immer wieder streichelt er sich während des Gesprächs, wie zur Betonung des Ganzen, über seinen, schon sehr kräftigen Kinnbart. Ja, das Wollen und bestimmt auch das Können ist in ihm. Doch vor dem Erfolg stehen bestimmt nicht nur weibliche Stolperfallen die es zu umschiffen, bzw zu bewältigen gibt. Eine von diesen baut sich, ein wenig später schon bei unserer Weinprobe, die er Fachmännisch begleitet, auf. Ein langer eingedeckter Tisch, mit faltenfreiem weißen Tischtuch eingedeckt, mit Gläsern in verschiedenen Formen, kleinen Leckereien und Wasserflaschen bestückt, steht für uns bereit. Nach seiner gekonnten Vorstellung der angebotenen Weine, soll eingeschenkt werden. Nur spielt da ein aufziehendes Gewitter, am Horizont in den Bergen, nicht ganz mit. Schnell kommt es näher, treibt dicke Regentropfen unter die überdachte Terrasse. Den Außensitzenden wird der Rücken nass. Sie wollen den makellosen eingedeckten Tisch weiter an die Hauswand ziehen um dem Tropfenfall auszuweichen.
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