Wir steigen einen steilen, gerölligen, schmutzigen Hang hoch den die Motorräder zurückgelassen haben. Stehen oberhalb der Betriebsgebäude des Kalksteinbruches angelehnt an einen Strom-Doppelmasten der dem Kraftwerk unten im Bruch die erforderliche Energie bringt.
Der Umkehrpunkt unserer Wanderung.
Der Steinbruch liegt nun offen vor uns. In sicherem Abstand zu seiner Kante schlendern wir zurück. In einer geschützten Mulde sind die Beeren des Kreuzdorn schon rot geworden, bis zu ihrer schwarzen Reife dauert es noch ein Weilchen. Ein anderer seiner Zweige treibt, im Winkel der gegenständigen Blätter, noch Blüten.
Heckenrosen mit ausgefärbten roten, noch grünlichen Hagebutten überzogen begleiten uns. Ab und an ein Schlafapfel an ihren Trieben. Es ist die Kinderstube der Rosengallwespe. Diese Wespenart verzichtet so zu sagen auf Sex. Die wenigen Männchen die umherschwirren haben es schwer eine Partnerin zu finden. Die vielen Weibchen sind autark. Sie besorgen ihre Befruchtung per "Jungfernzeugung". Das kann ich zwar nicht begreifen wie das funktioniert, doch es ist so. So verzichten diese Gallwespenweibchen auf eine der schönsten Augenblicke in ihrem Leben. Soll ja nicht ganz ungewöhnlich sein, dieser Verzicht! Aber so toll finde ich das nicht! Ich fand die Sache immer sehr berauschend, brachte mir Freude und Glück.
Die Sonne ist höher gestiegen, weitere Schmetterlinge aus ihrem Schlaf erwacht.
Neben Waldwiesenvögelein auf einer Skabiosen-Flockenblume ist es der Dukatenfalter der sich auf einem Jakobsgreiskraut zu Schau stellt. Er ist so berauscht vom Saugen an dem giftigen Kraut, dass er die Welt vergisst. Willig lässt er sich auf eine ganze Bilderserie ein. Zauberhaftes Rot-orange mit schwarzen Innen- und weißem Außenrand seiner Flügel auf dem Gelb des Jakobsgreiskrautes. Großzügig wie er heute ist, zeigt er obendrein auch noch seine hellbraune, mit schwarzen Punkten und weißen Flecken geschmückte Unterseite seiner Flügel.
Gleich daneben ein von der Natterkopfmilbe verformter Trieb des Natterkopfes. Diese winzige Milbe verformt die Triebe des Natterkopfes auf brutale Weise. Von seinen großen Blättern seinen schlanken Trieben bleibt ihm nicht viel. Wie ein lang hingestreckter Mooshaufen hat die Milbe seinen Habitus geformt. Als ich dieses "Moos" das erste Mal fand blühte es obendrein noch blau. Was habe ich da umher gerätselt. Diese winzige Milbe hat mich bald zur Verzweiflung getrieben. Bis ich endlich von einer Botanikerin auf Spur gebracht wurde.
Der Weg, mehr als eine Fahrspur der Gelände-Motorradfahrer verläuft durch eine kleine Senke die das Gelände des Bruches begleitet. Rechts, zum Abbau ein Gebüsch von Hartriegel, Heckenrosen, Weißdorn, Liguster. Am auffälligsten eine Ecke mit der Bibernellrose die mit ihren schwarzen, runden, reifen Hagebutten auf sich aufmerksam macht. Sie ist nicht sehr häufig und liebt trockene Standorte. Den hat sie hier gefunden und wie es aussieht fühlt sie sich auch sauwohl. Überall wachsen Sämlinge von ihr, links und rechts, in diesem längeren begleitenden Einschnitt nördlich des Bruches. Links blüht an der kleinen offenen Böschung das Schmalblättrige Jakobsgreiskraut, der Berg-Haarstrang mit seiner weißen Dolde, ein übergroßes Exemplar vom Natterkopf, die hellblauen Blüten der Skabiose, eine große Menge der Schwalbenwurz getupft mit eingestreuten roten Köpfchen des Mittleren-Klees, das Behaarte Johanniskraut in Gelb.
Bald treten wir auf den waldfreien nördlichen Hang oberhalb der ehemaligen Eisenerz-Grube Hansa. Noch schmaler wird der Pfad. Wächst zu mit Wiesenlabkraut, Behaarten Johanniskraut, dem Großen Ehrenpreis der seine letzten Blüten in den Pfad schiebt.
Eine Blindschleiche schlängelt sich vorüber, verschwindet im Grase. Von den sonst immer hier gefundenen Prachtnelken ist nichts mehr zu finden. Bestimmt verstecken sie sich mit ihrem blassen Grün in den sie umgebenen Gräsern.
Wieder wird die Landstraße gequert zum östlichen Teil, dem Harlingeröder, dem Schlewecker Teil des Langenbergs hoch gewandert. Über die Wiesen führt der Trampelpfad (Motorräder fahren hier nicht.) An aufgelassenen Steinbrüchen vorbei die, wenn man in die Tiefe blickt, einen natürlichen Baumwipfelpfad bilden, zur Kuppe, dem Pass mit Holzkreuz, Gipfelbuch und Bank, der dem Bad Harzburger Rundweg einen Aussichts- und Imbissplatz liefert. Schulkinder haben ihn mit einer hübsch bemalten Steinschlange in Szene gesetzt. Stein liegt bei Stein. Alle mehr oder weniger gekonnt bemalt. Dies kleine bunte hübsche Kunststück bringt nicht nur dem Betrachter Freude, sondern bestimmt auch kleinen Machern Freude und besonderes glücklich sein.
Auf dem "Kopf" oberhalb Schleweckes, dort wo früher unser Osterfeuer brannte, recken sich die gelben Strahlenblüten des Weidenblättrigen Alants ins Licht. Werden begleitet von gelben Echtem Labkraut, dem Aufgeblasenem Leinkraut, der Färber-Scharte. Es folgen Hartriegel- und Schlehenhecken bis sich ein kleiner Durchschlupf öffnet der uns auf die südliche Seite des Langenberges bringt. Der Lieblingsplatz meiner Schulzeit ist erreicht. Es ist eine kleine Mulde oberhalb des aufgegebenen Schlewecker Kalksteinbruchs. Von hier lag und liegt noch immer das südliche Schlewecke, Bündheim, Bad Harzburg, die Berge um Bad Harzburg vor mir. Auch Göttingerode ist zu sehen. Hier träumte ich in den Tag, vergaß manche mir aufgetragene Arbeit. Betrachtete lieber das kleine Lagerfeuer welches vor mir hinflackerte und träumte von der mir unbekannten Welt, meiner mir bekannten Heimat. Träumte, dass unsere Jungen-Jungend-Bande stärker ist als die von Göttingerode oder Harlingerode. Dachte auch manchmal an mein Unterlassenes und die Reaktion welche meine Faulheit, so nannte man mein Tun zu Hause, hervor brachte. Was soll's überlebt habe ich Beides; meine Jugend, meine kleinen Strafen.
Nach einer nachdenklichen Pause mit dem Blick auf das Heute, mit dem Schweifen der Gedanken in das Vergangene wandern wir weiter.
Weiße Dolden des Berg-Haarstrang begleiten uns jetzt in großer Menge. Die Karthäuser Nelke ist seit damals dazu gekommen oder hatte ich nicht bemerkt? Auch die Ästige Graslilie ist ganz neu hier eingezogen. Während der grüne Dickkopfkäfer, saugend auf der Flockenblume, sich bestimmt darüber keine Gedanken macht und der Zitronenfalter der von einer Kartäuser Nelke zu nächsten fliegt und sich freut sie hier anzutreffen. Er kennt nur die Gegenwart und ist zufrieden mit ihr. So auch mit der gelben Blüte der Wiesen-Platterbse, die er aber links liegen lässt. Der kleine Wiesenschmarotzer "Klappertopf" hat sich hier unten neben dem Drahtzaun der ehemaligen Schuttkuhle, den zugeschütteten Erdfällen der Grube Hansa breitgemacht. Ihre Samen rasseln in ihren Blütenkapseln als wollten sie sagen: "Nimm mich mit".
Mitnehmen möchte ich am liebsten auch den Abfallberg den Anlieger aus Göttingerode hier Schubkarren weise kompostieren. Sie sind noch bei der alten Methode der Entsorgung von organischen Gartenabfälle geblieben. Ob das nun am Langenberg verrottend vergeht oder im Garten auf dem Komposthaufen! Das bleibt sich wohl gleich. Wobei der Kompost in manchen Gärten der Anlieger etwas störendes darstellt. Sie machen sich die Mühe und karren sie in versteckte Stellen der freien Landschaft.
Während der Haufen unter den Büschen in freier Natur dem Vorbeikommenden offen steht. Ob er sich daran erfreuen, oder ärgern möchte, oder einfach übersieht bleibt ihm selbst überlassen. Vielleicht findet er ja auch etwas auf dem Haufen, was für den eigenen Garten geeignet ist.
Ja, großzügig in solchen Dingen sind sie schon, die Anlieger des Langenbergs.
Diese Großzügigkeit kann man anderen Anliegern an weiteren Wald- und Buschrändern unserer Heimat aber auch nicht absprechen.
Es bleibt aber ein schöner Tag den wir auf dem Langenberg erleben durften.
Ein Traumtag, wenn auch diesmal ohne Lagerfeuer.
Das ist schon lange niedergebrannt!
So hat Corona-19 zwar ein fröhliches gemeinsames Fest verhindert, doch wenn ich das heute Gesehene und Erlebte betrachte, trauere ich dem nicht nach.
Stokele gedanklich in der verglühenden Asche des Lebens; legen noch ein paar Scheite drauf.
Otto Pake