Rechts hat der Borkenkäfer, selbst in den vergleichsweise jungen Fichtenbestand schon zugeschlagen. Statt grüner Fichtennadeln, braunes Gestackele nadelloser Fichtenzweige. Doch die Wegränder grünen, blühen. Insekten summen und flattern. Disteln fruchten, lassen ihren Pappus im Winde fliegen, Haingreiskraut, letzte Distelblüten. Die paar Stängel des Wasserdost im feuchtem Graben, sind voller Pfauenaugen, Admiralen, Distelfaltern, einem C-Falter: Ein paar Kleine Füchse tummeln sich auch dazwischen. Sie machen sich in diesem Jahr etwas rar, so wie auch der Kaisermantel. Wenigsten auf dieser Höhe des Harzes und heute.
Kurze Pause an der Stempelstelle "Stempels-Buche". Der Stempel der Harzer- Wander-Nadel ist vorhanden; doch die Buche, die dem Platz den Namen gab ist verschwunden. Während ich mir ein paar eingefangene Kieselsteine aus dem Schuh kippe, wird der Wegweiser des NP betrachtet. Meuterei beim Weiter ist die Folge. "Warum rennst du denn noch weiter bergauf zur Hermannsklippe , wir können doch ohne weitere Steigung zur Pausenstation Scharfenstein laufen"! Nichts erwidere ich diesem Nörgeln. Hermannsklippe ist angesagt, also wird die Hermannsklippe auch angewandert. Schweigend ziehe ich voran. Keiner bleibt zurück und das Meckern ist Vergangenheit als wir einen frischen Nadelteppich unter den Schuhsohlen bekommen und die uns begleitenden Fichten immer lichter und brauner werden. Oft ist die Vegetation im dunklen Fichtenwald ja verdammt schütter, nur die Randbereiche mit krautigem Grün bewachsen. Aber hier ist der Fichtenwald hell, voller Licht und trotzdem ohne grünen Unterwuchs. Jegliches Grün ist zugerieselt, verdeckt, ja verschüttet von den abgefallenen Nadeln. Alle umherliegenden Granitbrocken, große wie kleine abgedeckt, die allerkleinsten Steine übergangslos verschwunden. Moospartien nur noch an den senkrecht abfallenden Kanten der Blöcke sichtbar, sonst alles, aber wirklich auch alles, unter dem rotbraunen bis grünlichem Fichtennadel-Spreu verschwunden, zugedeckt. Ein beklemmender Totentanz. Ein trauriges Spiel ohne Bewegung. Doch für unser Auge schleichend unsichtbar nehmen immer mehr, immer weitere Fichten daran teil. Es ist als ob die Wandertruppe, um diesem Chaos zu entkommen, ungewollt einen Schritt zulegt denn als ich auf die Breitblättrige Stendelwurz, das Ruhrkraut, dem Herbstlöwenzahn der überall am Wegrand seine kleinen Korbblüten zeigt, dazwischen eine niedergedrückte große gelbe, der hier gar nicht üblich vorkommenden Acker-Gänsedistel am Wegrand hinweise, steht die Schnellläufertruppe, schon auf uns wartend, an der Hermannsklippe. Viele Rätsel hat mir die große gelbe, aufgehende Knospe der Acker-Gänsedistel schon aufgegeben. Ich konnte mit ihrem jugendlichen, mit hunderten von kleinen gelblichen Haarspitzen bewachsenen Erscheinungsbild überhaupt nichts anfangen. Auch meine Anfragen beim Nationalpark-Ranger und einer versierten Botanikerin brachten keine Erkenntnisse wo die gelbe aufgehende Knospe einzuordnen ist. Versuchte mich bei den Habichtskräuern, dem Pippau, dem Lattich und anderen gelben Korbblütlern. Auf die Idee, es könnte sich um eine Art der Gänsedisteln handeln, die ich ja kenne, kam ich nicht! Erst als ich zweifelnd an meiner Suchkunst das Buch, die Bücher zur Seite legte, las ich unter Acker-Gänsedistel:
"Blütenstand bis 5cm, goldgelb, drüsenhaarig, in lockerer endständiger Doldenrispe. VII- IX." Da fiel der Groschen. Hat mich ganz schön genarrt, die Acker-Gänsedistel, wächst sie in der Regel dort wo sie ihren Namen her hat, außerdem an Ufern, Dünen und Unkrautfluren; von Harzer-Fichtenwäldern auf 800 m Seehöhe ist nicht die Rede! Wild liegen die mit Schüssel-Flechten überzogenen Granitblöcke der Hermannsklippe übereinander. Ein kleiner Pfad schlängelt sich zur Aussicht. Die ist voller Rastender die über einen schmalen Streifen abgestorbener, einen weiteren noch im grünen Gewand stehender Fichten ins nördliche Harzer Vorland schauen wollen. Das liegt aber unter dunklen Wolkenstreifen die mich schnell zum Weiter drängeln, sind doch Gewitter mit Sturmböen und ergiebige Regenschauer angesagt. Bald stoßen wir auf den Hirtenstieg, auf dem man aufsteigend, in ca. 3,5km zum Brocken kommt, wir absteigend in 1,5 km die Klause des NP am Scharfenstein erreichen. Der bisherige Straßenschotter endet. Auf dem Hirtenstieg liegen noch, auf Rübeländer Kalkschotter gebettet, die mit länglichen Löchern versehenen DDR-Betonplatten. Stiefelkappenkiller nenne ich sie; da die angeklebten Stiefel-Stoßkappen der Wanderstiefel beim Verklemmen im rauen vierkantigem Loch, schnell verloren gehen. Die Löcher zeigen noch etwas Besonderes. Sie sind zu kleinen Gärtchen geworden. Betrachtet man sie näher und schließt ein wenig verträumt die Augen saust der Burren NP in Irland durch die Gedanken. Der hat in seinen verwitterten Kalkfelsen ebensolche, nur noch viel vegetationsreichere kleine Gärten in seinen felsigen Kuhlen, Senken und Löchern. Aber die Gärten der Betonplatten haben auch etwas Sehenswertes, nur beachten muss sie halt. So auch die Vegetation neben den Betonplatten. Hier findet sich Schafgarbe, Ochsenzunge, Bärenklau, Zahntrost, das Wintergrün, der schon erwähnte Augentrost, der Färber-Wau, der zum Gänsebraten gehörende Beifuß, das Scharfe-, das Kanadische Berufskraut, das Ruhrkraut und noch vieles mehr.
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