23.Juli 2015
Wer feiern kann, kann auch arbeiten. Das gilt auch hier auf der Kohlalm. Alle werkeln schon umher. Unser Frühstücksterrassenplatz schon eingedeckt. Gestern schon drüber gesprochen, heute Morgen noch einmal nachgefragt wie man hinkommt zur Teufelsgasse. Wieder ein Wandervorschlag unseres Wirtes. Ist alles schnell geklärt. In Hinterberg stellen wir unser Auto ab. Eine kleine Kapelle, gelb angepinselt. Im grauem Dach ein grünliches, auf der Spitze stehendes Quadrat. Auf der anderen Straßenseite der Schilderbaum mit unserem Ziel: Teufelsgasse 30 min. Auf asphaltierter, stetig ansteigender Straße wandern wir. Ein verwitterter Holzgiebel zieht die Augen förmlich an. Ein in die Jahre gekommener Spalierapfel schmiegt seinen Stamm an ihn. Gibt dem maroden Giebel eine letzte Stütze. Hinterberg 20, wie lange lockt deine marode Schönheit noch die Blicke der Vorbeikommenden? Bald endet der Asphalt. Eine lange, spitzwinkelige Kehre. Von wegen 30min, erst nach schlappen 50min stehen wir schwitzend am Abzweig zur Teufelsgasse. Die Aussichtsbank besetzt, die Aussicht aber bleibt uns. Die Spitzen des Kaisergebirges in weißen Wolken verschwunden. Wir verschwinden zwischen den verwunschenen Kalkfelsen der Teufelsgasse. Tauchen ein in ein Wunder der Geologie. Klettern ist ein wenig übertrieben, wandern durch eng stehende Gesteinsblöcke, steigen Stufen hoch, rutschige naturbelassene Abhänge hinunter. Oft geben Halteseile die nötige Sicherheit beim Auf und Ab. Das Licht diffus, die Luft feuchter, der Pflanzenwuchs verändert. Eisenhutblättriger Hahnenfuß (Ranunculus aconitifolius), der Gelbe- oder auch Wolfs-Eisenhut (Aconitum lycoctonum), die Einbeere (Paris quadrifolia) sind in den halb-schattigen Bereichen der Klamm zu finden. Es ist ein Wundern und Schauen. Am Ende des gespaltenen, auseinander gedrifteten Berggrades der Teufelsgasse, auf dem Weg zur Prostalm, offene Wiesenflächen. Schwarze Königskerze (Verbascum nigrum). die Silberwurz (Dryas octopetala), die Goldrute (Solidago virgaurea), auch die Preiselbeere finden wir am Weg, sind den Lippen der Kühe entgangen. Nichts los auf der Prostalm. Die Wirtin langweilt sich, freut sich über unsere Einkehr. "Da stehe ich nun hier umher und wenn ich denke der vorbeikommende Wanderer kehrt ein, rennt der einfach vorbei. Trauriger Tag heute, doch am Wochenende wird es bestimmt besser" tröstet sie sich ein wenig selbst. Wir genießen die einsame Rast bei ihr auf der Prostalm. Beschließen die Teufelsgasse noch einmal andersherum zu durchwandern. So etwas Interessantes, ja Einmaliges werden wir so schnell nicht wieder finden. Also noch einmal durch das Teufelsgassenlabyrinth! Wieder an der Fahrstraße angekommen wandern wir weiter zur Spissleralm. Auf dem Herweg sahen wir kurz hinter der spitzwinkeligen Kurve eine Ausschilderung zur Spissleralm, also muss es anders herum auch gehen. Blühende Almwiesen im Sonnenschein, mit dunklen Fichten bewachsene Bergkuppen begleiten uns. Kaisermäntel umflattern die zahlreichen Glockenblumen, die weißblühenden Labkräuter inmitten der blauen Blüten. Die Felsen in den Wiesen üppig überwachsen vom Berg-Gamander (Teucrium montanum). Auf der Spissleralm schultert das Bergbauernpaar, das hier wirtschaftet, ihre Motorsensen. Machen sich mit Hund und kleinem quirligen Mädchen auf den Weg in ihre, von den Kühen abgeweideten, Wiesen. Wir beide hoch auf den Hügel mit dem Gipfelkreuz vor ihrer Alm. Von der Bank betrachten wir das Panorama der Berge. Tragen uns ins Gipfelbuch ein. Erfreuen uns der Stille. Erst heult eine der Motorsensen auf, dann die Zweite. Ihr doppeltes Gekreische stört uns, treibt uns fort von dem schönen Platz. Rätseln umher welcher Weg uns zu unserem Parkplatz nach Hinterberg bringt. In den Wiesen geht die Pfadspur verloren. Haben mehr auf die weite Felsflächen überwuchernde Weiße Fetthenne (Sedum album), dem Silberwurz (Dryas octopetala) geachtet. Der Hund des Bergbauern, der mit dem Mädchen durch die Wiesen strolcht, ist uns nicht so ganz wohl gesonnen. Er treibt uns mit keifenden Gebell, wie ein Hütehund seine Schafherde, gewollt oder auch nicht, auf den richtigen Weg hinunter nach Hinterberg. Unter den Fichten ist die Pfadspur auch wieder sichtbar, auch taucht ein verblasstes Schildchen, das hoch zur Spissleralm zeigt auf. Ein Hinweis hinunter nach Hinterberg fehlt leider völlig. Was soll es, wir kommen unten an. Bedanken uns in der kleinen gelben Kapellen mit gefalteten Händen bei dem der uns unsichtbar, doch zuverlässig begleitet hat.
Der letzte Spätnachmittag auf der Kohlalm ist gekommen. Freundliche Gespräche mit Frau Agnes, Herrn und Frau Wiesinger, mit Gästen die bald im abendlichem Licht dem Kohlental zustreben. Komme auf das Geklacker am Bach zu sprechen. "Das ist der Widder" bekomme ich zur Antwort. "Der was"? "Der hydraulische Widder, der pumpt unser Trinkwasser hoch". Ich verstehe immer Bahnhof, ein Widder der Trinkwasser pumpt? Für mich ist ein Widder ein Schafbock! Nun werde ich klug gemacht: "Es ist unser Wasserwidder, ein Staudruck-Wasserheber. Warten sie, ich zeige das Prinzip mit zwei Papierblättern". Er nimmt zwei Blätter vor die Lippen, bläst dazwischen. Statt auseinander zu driften, den Weg für die durchströmende Luft frei zu machen, schlagen sie immer wieder zusammen; öffnen sich, schließen sich.) Beim Schließen entsteht dann ein kurzer Druckstoß, dann öffnen sich die Blätter wieder, lassen die Luft fließen. (Schon einmal gesehen, aber nicht weiter beachtet. Mit: Ist halt so zur Seite geschoben.) "So ähnlich macht es auch das Wasser wenn es durch zwei Membranen, einem sich selbstschließenden Ventil geleitet wird" erklärt er. Herr Wiesinger erzählt noch über Wasserfassung, Stoß-und Druckventil, Windkessel, Steigleitung. Wenn ich eben dachte, ich habe das Prinzip, wie alles das zusammen spielt, funktioniert verstanden, so lande ich bald wieder auf dem Bahnhof. Wenn der Schaffner pfeift drehen sich die Räder der Lokomotive, der Zug fährt ab. So einfach ist das. Mit: "Wie viel Prozent des durchfließenden Wasser können denn so gehoben werden?" versuche ich einen Lichtstrahl in mein Unwissen zu lenken. "Etwa 10% des durchströmenden Wasser, ganz ohne Strom, nur mit dem Stoßdruck und Windkessel. Wollen wir uns das einmal anschauen"? Ein Kopfnicken beschließt das Vorhaben. Beide wandern wir zu dem klackernden, wasserkämpfenden Widder. Herr Wiesinger zeigt und erklärt die Bauteile, ihre Funktion. Zeigt wo das Wasser gefangen wird, wo es hingepumpt wird. Zeigt auf ein bald verschlissenes Lederteil. Ob ich da nun reinschaue oder in China fällt eine Tür ins Schloss! Der technischen Geheimnisse gibt es zu viele. Vielleicht hilft mir der Google weiter!? Lange sitzen wir noch gemeinsam auf der Terrasse, lassen die vergangenen Tage noch einmal vorbei ziehen. Bedanken uns für die herzliche Aufnahme, die gute, schmackhafte, reichliche Verpflegung aus der Küche Frau Wiesingers, ihrer Schwester. Das freundliche Ambiente des Hauses, den liebevollen Service Agnes, der umsorgenden Blick des Wirtes. Seinem Adlerblick entging nicht eines der ausgetrunkenen Gläser. Danke für die vorgeschlagenen Wandertouren, den Hinweis des ersten Tages uns die umliegenden Wiesen, die kleine Kapelle anzusehen. Für jedes in gemeinsamer Runde getrunkenes Glas danken wir. Es waren sehr schöne Tage mit, bei ihnen im Berggasthof Kohlalm. Unsere Rechnung haben wir gern beglichen. Meiner Cousine Karola für die Idee mit den zwei geschenkten Tagen einen besonders herzlichen Dank. Nie wären wir auf die Idee gekommen hier oben Quartier zu machen. Wir, die am liebsten im Zelt schlafen, die Welt meist aus der Froschperspektive, vom Faltboot aus betrachten. Lange haben wir die Berge Österreichs nicht besucht. Lag das an der Ameise die mir vor Jahren bei Ypps ins Ohr gekrabbelt ist, mir für Tage einen Brummschädel verpasste, erst in Bad Harzburg mit Hilfe einer Pinzette den Gehörgang wieder verlassen hat, oder an dem Gendarmen der, am Lieserufer, beim Betrachten eines Wasser-Schwalls, grundlos die Papiere für Mensch und Auto forderte? Oder doch mehr an der Straßenmaut für Autobahnen, die wir immer meiden möchten, doch immer durch die äußerst geschickte Schilderführung der Straßenbauverwaltung Österreichs, drauf geleitet werden? Dann, ehe man sich versieht, empfindlich blechen muss! Auch jetzt haben wir keine Maut-Pikerl an der Windschutzscheibe kleben, trauen uns darum nicht, um Salzburg herum, zur OÖ Landesgartenschau nach Bad Ischl zu fahren. So sehen wir nicht die Ausstellung und Bad Ischl uns nicht. Das letztere sind erst Gedanken die uns am morgigen Abreisetag beschäftigen.
Nochmals: Herzlichen Dank für die erlebnisreichen Tage. Wenn wir gesund bleiben sehen wir uns wieder, denn das Schwarze Kohlröschen (Nigritella nigra) auf dem Scheibenkogel, dass uns unser Herr Wiesinger halbwegs versprochen hat, haben wir ja noch nicht gefunden. Noch etwas bewegt mich. Laut Herrn Wiesinger trägt das Kohlental, die Kohlalm, der Kohlbach seinen "Kohl" von der hier gebrannten Holzkohle. Es ist eine einfache und logische Erklärung der Namensgebung. Doch bei uns im Harz gibt es unzählige dieser Meilerplätze, dieser Kohlstellen, jedoch nimmt kaum ein Platz dazu einen Namensbezug. Anders herum wurden im Harz fast alle essbaren Pflanzen mit Kohl angesprochen. Da sind die Kreuzblütler wo der eigentliche Kohl zu gehört, auch Korbblütler die als Futterpflanzen dienten werden locker als Kohl bezeichnet (Kohl-Distel), auch der Bärlauch der bei uns im Frühjahr feuchte Hänge und Bachtäler weiß färbt wird mit Stinkekohl angesprochen. Alles Gemüseartige ist im, vom Althergebrachten einfach nur Kohl. Kommt vielleicht vom griechischen
-kaulos-, dem lateinischen -caulis- dem Stengel, unser Wort "Kohl"? So könnte man alle essbaren Stengel, wenn man so will, als Kohl bezeichnen. Bei dem reichen, einmaligen Vorkommen von Schnittlauch im Tal, der auch geerntet und verkauft wird, auch als Kraut eingelagert werden kann, ist es auch nur noch ein winzig kleiner Schritt vom Kraut zum Kohl; vom "Krauttal" zum "Kohltal". Wie auch immer, es bezaubert!
Es bezaubert nicht durch die Vergangenheit der Meilerplätze, sondern durch den Reichtum seiner Kräuter, seinen freundlichen, herzlichen Menschen. Der Nachthimmel hat seinen Sternenmantel schon lange über uns ausgebreitet. Einmal mehr ein später Abgang von der Terrasse des Berggasthauses Kohlalm. Verschwinden unter der Bettdecke. Durch das weit offen stehende Fenster klingt das Gebimmel der grasenden Kühe, nimmt uns mit ins Traumreich.