20. Juli 2015
Bayrischer Himmel über Tirol. Voll im blendendem Sonnenschein frühstücken wir auf der Terrasse. "Ein guter Tag für den Scheibenkogel. Die Wiesen werden ja noch feucht sein, passt auf dass ihr die Pfähle, die den Weg ausstecken, nicht verliert. Zwischen dem Auf und Ab der kleinen Hügel ist das schnell geschehen. Vergesst nicht, oben auf dem Kamm erst nach rechts zum Scheibenkogel mit seiner Aussicht. Vielleicht findet ihr ja auch noch das Schwarze Kohlröschen, es soll da oben wachsen", die mahnenden, neugierig machende Worte unseres Wirtes. Unser Weg führt ein kleines Stückchen bergab, zweigt nach links, nach Norden ab. Queren das kleine Bächlein das unter unserem Fenster vorbei murmelt. Hier wird das Murmeln von einem kräftigen Klopfen, dass aus einem kleinen Gebäude am Bach hoch schallt übertönt. Was klopft da drin? Ein hübscher blühender Garten überrascht uns an der nächsten Alm. Bald verlässt unser Wegzeichen den Fahrweg, zweigt in die Wiesen ab. Der Pfad ist nur zu erahnen, doch die eingeschlagenen Pfähle mit der rot-weißen Kennung weisen die Richtung. Plötzlich taucht keiner der markierten Pfähle mehr auf. Wir sind abgedriftet. Laufen suchend umher. Das Fernglas hilft weit oben am Hang einen ausfindig zu machen. Wir sind schon auf der anderen Seite eines kleinen Rinnsales gelandet. Müssen durch die nasse Senke wieder zurück, den trockenen poltrigen Hang hinauf. Nun erkennen wir von oben den Verlauf der Wegmarken und auch warum wir abgekommen waren. Ein Pfahl steht etwas tiefer im Loch, von unten im Gras schlecht auszumachen! Was soll's, wir sind wieder richtig. Freuen uns an der Grünen Hohlzuge, rätseln an einem kugeligen Fruchtstand einer Orchidee umher. Ist es das gesuchte schon verblühte Kohlröschen? Die gelben Blütenköpfe der Ochsenaugen ziehen den Blick an, nicht weit weg davon reckt sich der Sumpf-Ziest (Stachis palustris) in die Höhe. Der Wald nimmt uns auf. Vorbei an einem Prachtexemplar von Türkenbund, dem Braunroten Sumpfwurz (Epipactis atrorubens), der Waldwicke (Vicia sylvatica), der Zweiblättrigen Waldhyazinthe (Plantathera bifolia). Am Fuß einer alten Fichte zeigt sich der Fruchtkörper des Rotrandigen Baumschwamm (Fomitopsis pinicola). Sein Myzel, im Fichtenholz verborgen, läutet leise das Sterben der Fichte ein. Nicht weit davon wächst im Nadelstreu die Europäische Teufels-Klaue (Hupercia selago), auch Tannen-Bärlapp genannt. Ein Wegzeichen, rote Pfeile auf weißen Stein gemalt, zeigt das wir die Kammhöhe erreicht haben. Hier müssen wir nach rechts. In kleinen Anstiegen schlängelt der Pfad, immer auf der Höhe bleibend, sich zum 1612m hohen Scheibenkogel. Eine Freifläche mit Gipfelkreuz und weiter Aussicht über das Kohlental, zum Walchsee. Der aufrechte Kreuzbalken der die Verbindung zum Himmel darstellt ist mit dem Waagerechten, die Verbindung der Menschen untereinander symbolisierend, mit einem auf der Spitze stehenden Quadrat verbunden. Dies bedeutet die unzerstörbare Verbindung Gottes zum Menschen und umgekehrt. Die Spannseile, die das Kreuz vor dem Umfallen bei starken Stürmen schützen sollen, hängen schlapp umher. Sind mehr ein hässlicher Zierrat als Schutz vor Stürmen. Der Platz hier oben ist wunderschön. Auf der sonnenbeschiedenen Kuppe blüht es in üppigster Pracht. Ein Platz zum Träumen, Rasten, Schauen. Der einzige Störenfried in diesem kleinen Paradiese ist eine ausgebrannte Feuerschale. Zur Sonnenwende hat hier wohl ein Gipfelfeuer gebrannt, nicht so eins mit Holzfeuer und so, sondern eins mit länger brennenden Fetten und Ölen. Die ausgebrannte Schale war dann für den Rucksack bestimmt noch zu heiß; blieb nach dem Abfackeln einfach liegen. Mitschleppen wollen wir sie aber auch nicht. So findet an geeigneter Stelle, dann eine wenig traurige Beerdigung der rostigen Feuerhülle statt. Optisch stört, außer den schlapp baumelnden Kreuzhalteseilen, nichts mehr unserem Wohlsein auf dem aussichtsreichen, bunt blühenden Scheibenkogel. Rita rückt ihren entblößten Rücken in die Sonne, betrachte unsere schöne Welt von erhobener Warte. Ich stromere umher, fotografiere: Klappertopf mit Sommerwurz, Aufgeblasenes Leimkraut mit Thymian, Gemeine Goldrute, Rispen-Steinbrech, Wiesen-Labkraut, Storchschnabel Fruchtstände, die immer wiederkehrenden Ochsenaugen. Sie geben mit ihrem strahlenden Gelb dem Ort eine besondere Freundlichkeit. Das finden nicht nur wir. Es summt, brummt und flattert um uns herum. Der schwarzweiße Schachbrettfalter saugt am Blütenkopf der Weichen Silberscharte (Jurinea mollis), der unruhige Schwalbenschwanz (Papilo machaon) will nicht aufs Bild, wird aber doch überlistet. Der Admiral (Vanessa atalanta) hat sich auf dem Thymian niedergelassen, lässt sich nicht stören. Im halb verblühtem Johanniskraut wartet eine dicke Eichenblatt-Radnestspinne dass einer der drei oder ein kleinerer Vertreter der Insekten über ihre Stolperfäden ins Straucheln gerät, sie zugreifen kann. So ist das Leben, der Tod ist allgegenwärtig, jeder frisst den Überlisteten, den ihm Unterlegenen, auch auf dieser Höhe unter dem Kreuze wird davon nicht abgegangen. Wir begnügen uns mit einem unserer mitgebrachten Äpfel.
Weiter geht es immer auf schmalem Pfad. Fichten, Kiefern säumen die Spur. Kleine kurze Passagen mit Ausblicken auf die Spitzen des Wilden Kaisers im Westen, über die Täler des Nordens. Später ziehen dann die Almwiesen zum Pfad hoch. Hier finden wir die weißen sternförmigen Blüten der Astlosen Gras-Lilie (Anthericum liliago), wieder Gruppen der Mücken-Händelwurz, das Fleischrote Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata) ist abgefressen, nur noch fünf Blüten am Stengel sind dem Rindermaul entgangen. Am Waldrand blüht die Berg-Flockenblume (Centaurea montana in lila-blau. Auf Schnittlauchblüten ist der wohl schönste Laubheuschreck der Eupholidoptera chabrieri bei der Liebesarbeit. Dicke schwarze Augen, ein schwarzer Seitenstreifen trennt den grünen Rücken von der grün-hellbraunen Bauchseite. Abends singt er mit schrillen hohen, zwei hintereinander fast verschmelzenden Zirptönen sein Abendlied. Eben schweigt er still, ganz der Liebe hingegeben, mit der Partnerin vereint. Wir sind am überlegen ob wir gleich über die Wiesen zur Kohlalm absteigen. Doch die polterigen, mit Wasser gefüllte Rindertritte auf den Weideflächen schrecken uns. Wir bleiben auf dem Weg zum Kohllahner-Sattel. Ein junges Paar zieht an uns vorbei. Mit eiligen Schritten stürmen sie davon. Am Abzweig zur Kohlalm am Kohllahner-Sattel treffen wir die Beiden wieder. Er möchte noch hoch zum Feldberg, sie hat die Nase voll von der Rennerei, will absteigen. "Ist das Berggasthaus geöffnet, kann ich da einkehren" fragt sie uns. "Da sitzt man nicht nur gut, auch für Essen und Trinken ist gut vorgesorgt. Wir sind da für eine Woche zuhause. Warten sie da ruhig auf ihren nimmermüden Herrn". Der verschwindet darauf zwischen den Kusel-Kiefern, sie steigt hinunter zum Berggasthaus. Wir beide hocken uns in den Windschatten des Sattels, sind rundherum glücklich, zufrieden. Lange beobachten wir wie der rote Anorak der Dame den Berg herunter springt, kleiner und kleiner wird, verschwindet. Neben uns zwischen den erdnahen Trieben der Bewimperten Alpenrose (Rhododendron hirsutum), das ist die mit den auch unterseits grünem Blatt steht noch in Knospe ein dicker Büschel der Kelch-Simsenlilie (Tofildia calyculata).
Etwas unterhalb schon verblüht, hier oben noch in Knospe. Kurz oberhalb unserer Almen steht eine Bank, sie bietet einen Blick über die Gebäude, zur kleinen Kapelle. Heute einen ganz besonderen. Die jungen Leute, die vorgestern die zum Lüften herausgelegten Matratzen rein geschleppt haben spielen in ihrer vermeintlichen Abgeschiedenheit Ringelpietz mit anfassen. Nackig toben sie ums Gehöft versuchen es den Laubheuschrecken gleich zu machen, finden aber keinen Blütenboden der sie trägt. Herrliches Almleben! Die junge Dame vom Kohllahnersattel schlürft Tee auf der Terrasse, wartet noch auf den Nimmermüden. Wir sind auch durstig. Herr Wiesinger weiß das schon bringt gleich ein großes Bier. Eins für Rita eins für mich. Bald kommt auch der Nimmermüde durch die Almwiesen angestolpert. Setzt sich zu seiner Angebeteten. Ein gemeinsamer Versöhnungstrunk, ein tuschelndes Insichreinkriechen und die beiden verschwinden im schackerigem Licht des Tages hinter der Kurve der Fahrstraße Richtung Parkplatz Kohlental. Später beim zweiten Bier bringt Herr Wiesinger sich auch ein kleines Glas davon mit. Wir stoßen an auf den schönen vergehenden Tag. "Nun wartet das Stripsenjoch auf euch. Gutes Wetter ist angesagt", mit diesen Worten ist der Wanderplan für den 21.Juli beschlossen. Essen zu Abend wie immer auf der Terrasse, während drinnen im Gastraum das Holz im Ofen seine Wärme verbreitet. Es wärmt keine Gäste. Wir als einzige Gäste der Kohlalm, locken neben unseren Wirt, der mit Freude die immer wieder leeren Gläser auffüllt, auch die Köchin Frau Wiesinger und die Hausfee Agnes zu uns nach draußen. Erzählstunde. Erst als die Kälte dann doch die Beine hoch krabbelt, die Bettschwere erreicht ist, versinkt der Berggasthof unter dem blinkenden Sternenhimmel, am leise murmelnden Bächlein, in das Traumreich. Wir unter unsere Bettdecken.